Das antike Rom war durchdrungen von Mythen und Erzählungen über das Jenseits. Eine der unheimlichsten Vorstellungen war die von den
Lemuren - ruhelosen Geistern, die aus dem Reich der Toten zurückkehrten. Diese Seelen gehörten zu Menschen, die entweder gewaltsam gestorben waren oder deren Begräbnis nicht den vorgeschriebenen Riten entsprach. Solche Seelen fanden keinen Frieden und verwandelten sich in Spukgestalten. Mit klagenden Schreien, leuchtenden Augen und einer bedrohlichen Präsenz suchten sie die Lebenden heim. Man glaubte, sie könnten Wahnsinn stiften oder Unheil bringen. Nur verschlossene Türen boten einen wirksamen Schutz vor ihrem Eindringen.
Magische Praktiken zum Schutz
Da die Furcht vor den
Lemuren groß war, entwickelten die Römer wirkungsvolle Schutzrituale. Der Hausherr war verpflichtet, diese in der Nacht durchzuführen. Barfuß ging er durch die Räume, warf schwarze Bohnen hinter sich und sprach eine Beschwörungsformel, die seine Familie von den Geistern lösen sollte. Die Bohnen galten als Opfergabe, die die Lemuren an sich nahmen. Danach reinigte er seine Hände und schlug mit Kupfergefäßen, deren Klang die Geister vertreiben sollte. Dieses Ritual vereinte
Magie, Religion und Tradition - ein Versuch, mit den Kräften der Nacht Frieden zu schließen.
Das Fest der Lemuria
An drei Tagen im Mai feierten die Römer die
Lemuria. An diesen Tagen war es streng verboten, Hochzeiten zu schließen oder Tempel zu öffnen. Stattdessen widmete man sich allein der Abwehr der Geister. Besonders interessant ist die Verbindung dieser Feste zur römischen Gründungsgeschichte: Der Geist des von Romulus erschlagenen Remus soll einer der ersten
Lemuren gewesen sein. Um seine ruhelose Seele zu besänftigen, habe man die
Rituale eingeführt. Damit war der
Glaube an die Lemuren tief mit der Identität Roms verwoben. Neben den Lemuria gab es weitere Gedenktage wie die Parentalia, die jedoch einen friedlicheren Charakter hatten, da sie der Verehrung der Ahnen dienten. Die Lemuria dagegen waren Tage der Furcht und der Abwehr.
Die dunkle Seite der Hölle
In späteren Schriften tauchten die
Lemuren nicht nur als nächtliche Geister auf, sondern auch als verdammte Seelen der
Unterwelt. Sie gehörten zu den niedrigsten der Teufel und wurden als formlos und gequält beschrieben. Ihre Reise durch die Unterwelt war von Folter, Intrigen und Qualen geprägt. Auf dieser endlosen Reise verloren sie ihre menschliche Erinnerung und wurden zu reinen Wesen des Hasses. In dieser Vorstellung verband sich die Furcht vor dem Tod mit der Furcht vor ewiger Verdammnis.
Die Legende der Lemuren zeigt, wie stark das antike Rom von der unsichtbaren Welt geprägt war. Totengeister, Rituale und Feste spiegelten den Glauben an die Macht der Ahnen und zugleich die Furcht vor ruhelosen Seelen. Noch heute faszinieren uns diese Erzählungen, weil sie die tiefsten Fragen nach Leben, Tod und Jenseits berühren.
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